GILLES AUBRY And Who Sees The Mystery (Corvo Records, core 011, LP): Nach Antoine Chessex als Modern Composer rückt mit Aubry ein weiteres Viertel von Monno in den Fokus. Der Schweizer Klangforscher & -installateur in Berlin hatte bei “Urbanus Vulgaris” (2006) Vögel als bedrohte Indikatoren für urbane Lebensqualität belauscht, für “Echoes of Light & Darkness” (2010) den Holy Ghost Congress in Lagos besucht, für “L’Amplification des Âmes” (2011) sich den Boomboxkicks bei Meetings neocharismatischer Pfingstler in Kinshasa ausgesetzt und sich in Indien in Bollywoodsoundtracks, Bestattungszeremonien und frühe Tonaufzeichnungen vertieft.
Hinter dem Vorhang dieser LP erwartet einen ein klanglicher Niederschlag von “A Morocco Anthology of Ear Preservation” (2012-14), Aubrys gemeinsam mit Zouheir Athane durchgeführte Forschung über Paul Bowles und dessen Sammlung marokkanischer Musik, die 2010 von Washington nach Tanger transferiert worden ist. Feldaufnahmen von Amazigh-/Berber-Trommeln und -gesängen bilden den Kern einer weniger ethnologisch-musealen als klanglich-aktuellen Annäherung. Wobei das Ästhetische und Musikalische dem Alltäglichen und Allgemeinen untergeordnet wird, als ob Aubry einem das von Stimmen und Motorengeräuschen durchsetzte, von Feedback, Gezwitscher und Gebrumm verschleierte Klirren, Kratzen, Klatschen, Ghaitagetröte, Gedengel und dumpfe Tamtam quasi als Geäder einer sozialen Skulptur und als Nektar für Ohr und Herz vermitteln wollte.
Auch der Vorhang findet seine Erklärung als “politics of invisibility by establishing correspondences between Paul Bowles as an ‘invisible spectator’, the veil as a strategy of resistance against colonialism by the women of the Addal music ensemble and the Pythagorean curtain of French acousmatic music.” Kritisch, vielleicht sogar etwas hypokritisch werden bei Bowles selektive, antinationalistische und autoritär-reservierte Motive als sein verschwiegenes Geheimnis entschleiert, Einspruch erhoben gegen sein implizites Othering (Fremd-Machen) und gayatri-chakravorty-spivakistisch ein teilnehmender Modus dagegen gesetzt. [BA 93 rbd]
“And Who Sees The Mystery” — Review in Bad Alchemy #93
GILLES AUBRY And Who Sees The Mystery (Corvo Records, core 011, LP): Nach Antoine Chessex als Modern Composer rückt mit Aubry ein weiteres Viertel von Monno in den Fokus. Der Schweizer Klangforscher & -installateur in Berlin hatte bei “Urbanus Vulgaris” (2006) Vögel als bedrohte Indikatoren für urbane Lebensqualität belauscht, für “Echoes of Light & Darkness” (2010) den Holy Ghost Congress in Lagos besucht, für “L’Amplification des Âmes” (2011) sich den Boomboxkicks bei Meetings neocharismatischer Pfingstler in Kinshasa ausgesetzt und sich in Indien in Bollywoodsoundtracks, Bestattungszeremonien und frühe Tonaufzeichnungen vertieft.
Hinter dem Vorhang dieser LP erwartet einen ein klanglicher Niederschlag von “A Morocco Anthology of Ear Preservation” (2012-14), Aubrys gemeinsam mit Zouheir Athane durchgeführte Forschung über Paul Bowles und dessen Sammlung marokkanischer Musik, die 2010 von Washington nach Tanger transferiert worden ist. Feldaufnahmen von Amazigh-/Berber-Trommeln und -gesängen bilden den Kern einer weniger ethnologisch-musealen als klanglich-aktuellen Annäherung. Wobei das Ästhetische und Musikalische dem Alltäglichen und Allgemeinen untergeordnet wird, als ob Aubry einem das von Stimmen und Motorengeräuschen durchsetzte, von Feedback, Gezwitscher und Gebrumm verschleierte Klirren, Kratzen, Klatschen, Ghaitagetröte, Gedengel und dumpfe Tamtam quasi als Geäder einer sozialen Skulptur und als Nektar für Ohr und Herz vermitteln wollte.
Auch der Vorhang findet seine Erklärung als “politics of invisibility by establishing correspondences between Paul Bowles as an ‘invisible spectator’, the veil as a strategy of resistance against colonialism by the women of the Addal music ensemble and the Pythagorean curtain of French acousmatic music.” Kritisch, vielleicht sogar etwas hypokritisch werden bei Bowles selektive, antinationalistische und autoritär-reservierte Motive als sein verschwiegenes Geheimnis entschleiert, Einspruch erhoben gegen sein implizites Othering (Fremd-Machen) und gayatri-chakravorty-spivakistisch ein teilnehmender Modus dagegen gesetzt. [BA 93 rbd]