Wie klingt ein aufgewühltes Herz? Pathetisch triefend vielleicht? Beim Duo Joke Lanz und Jonas Kocher sind solche Bedenken unangebracht. In ihrem Stück „Cœur chaviré“ flattert vielmehr ein hochgradig nervöses Akkordeon wenig harmonieselig und alles andere als regelmäßig von Kammer zu Kammer, während ein Plattenspieler kurze, warnsignalartige Schocks verabreicht.
„Aufgewühlt“, so die deutsche Übersetzung von „chaviré“, ist hier buchstäblich zu verstehen. Wie ein frisch aufgeworfener Erdhaufen. Oder eher wild verteilte Erdkrumen. Nach anderthalb Minuten ist der Spuk schon wieder vorbei.Jetzt könnte man erst einmal grundsätzlich fragen, ob das Akkordeon, etwas zu Unrecht als „Schifferklavier“ verunglimpft, und der Plattenspieler, als Instrument für hektisches Scratching eingesetzt, wie der Berliner Noise-Künstler Joke Lanz ihn zu spielen pflegt, überhaupt so recht zusammenpassen. Doch bei der Spielweise des Bieler Akkordeonisten Kocher, der selbst ebenfalls Klangkünstler ist, stellt sich die Frage so nicht.
Kocher versteht es, mit seiner
„Quetschkommode“ ähnlich kurzatmige, ruckartige und impulsive Klänge
hervorzubringen wie sein Mitstreiter Lanz an den Turntables. Manchmal
ist es in diesen Miniaturen, die die beiden auf ihrem Album „Abstract
Musette“ versammelt haben, schon sehr schwierig, genau zu
identifizieren, welcher Ton oder welches Geräusch von wem gerade
produziert wird.
Die gute alte Tradition des Aufeinander-Hörens beherzigen auch Lanz und Kocher. Bei ihnen scheint es sich um blitzschnelle Reaktionen aufeinander zu handeln. Statt sich die Bälle zuzuspielen, beschießen sie einander mit akustischen Projektilen, wenn man so möchte. Anders lässt sich ihre Geschwindigkeit kaum angemessen beschreiben.
Ganz wichtig in diesem
Zusammenwirken sind vor allem: die Pausen. Sowohl Lanz als auch Kocher
haben eine Vorliebe für das Verknappte, unvermittelt Abreißende,
unbarmherzig Abgewürgte, dem sie mit präzise gesetzten Pausen, und seien
sie noch so kurz, stets zu ihrer eigentlichen Bestimmung verhelfen.
„Start-Stop“ nannte man das im Hardcore. Hier ist es ähnlich hart. Bloß
in einer unerwarteteren Konstellation. Regt Geist und Körper an. Tim Caspar Boehme
ABSTRACT MUSETTE re√iew in the German tageszeitung
https://taz.de/!5662784/
Wie klingt ein aufgewühltes Herz? Pathetisch triefend vielleicht? Beim Duo Joke Lanz und Jonas Kocher sind solche Bedenken unangebracht. In ihrem Stück „Cœur chaviré“ flattert vielmehr ein hochgradig nervöses Akkordeon wenig harmonieselig und alles andere als regelmäßig von Kammer zu Kammer, während ein Plattenspieler kurze, warnsignalartige Schocks verabreicht.
„Aufgewühlt“, so die deutsche Übersetzung von „chaviré“, ist hier buchstäblich zu verstehen. Wie ein frisch aufgeworfener Erdhaufen. Oder eher wild verteilte Erdkrumen. Nach anderthalb Minuten ist der Spuk schon wieder vorbei.Jetzt könnte man erst einmal grundsätzlich fragen, ob das Akkordeon, etwas zu Unrecht als „Schifferklavier“ verunglimpft, und der Plattenspieler, als Instrument für hektisches Scratching eingesetzt, wie der Berliner Noise-Künstler Joke Lanz ihn zu spielen pflegt, überhaupt so recht zusammenpassen. Doch bei der Spielweise des Bieler Akkordeonisten Kocher, der selbst ebenfalls Klangkünstler ist, stellt sich die Frage so nicht.
Kocher versteht es, mit seiner „Quetschkommode“ ähnlich kurzatmige, ruckartige und impulsive Klänge hervorzubringen wie sein Mitstreiter Lanz an den Turntables. Manchmal ist es in diesen Miniaturen, die die beiden auf ihrem Album „Abstract Musette“ versammelt haben, schon sehr schwierig, genau zu identifizieren, welcher Ton oder welches Geräusch von wem gerade produziert wird.
Die gute alte Tradition des Aufeinander-Hörens beherzigen auch Lanz und Kocher. Bei ihnen scheint es sich um blitzschnelle Reaktionen aufeinander zu handeln. Statt sich die Bälle zuzuspielen, beschießen sie einander mit akustischen Projektilen, wenn man so möchte. Anders lässt sich ihre Geschwindigkeit kaum angemessen beschreiben.
Ganz wichtig in diesem Zusammenwirken sind vor allem: die Pausen. Sowohl Lanz als auch Kocher haben eine Vorliebe für das Verknappte, unvermittelt Abreißende, unbarmherzig Abgewürgte, dem sie mit präzise gesetzten Pausen, und seien sie noch so kurz, stets zu ihrer eigentlichen Bestimmung verhelfen. „Start-Stop“ nannte man das im Hardcore. Hier ist es ähnlich hart. Bloß in einer unerwarteteren Konstellation. Regt Geist und Körper an. Tim Caspar Boehme